Über Anmachen, Aufdringlichkeit und Sexismus
- lea singt mal
- 23. Sept. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Der Kampf gegen Sexismus ist zwar schon weit gekommen, aber noch lange nicht geschlagen. So gern ich es auch glauben würde. Ich bin froh und unglaublich dankbar, Hosen tragen zu können. Dennoch möchte ich nicht darauf reduziert werden, wie mein Hintern aussieht, wenn ich Leggins trage. Ich ziehe sie an, weil sie die besten Sporthosen sind oder um mich darin wohl zu fühlen, weil Jeans manchmal einfach zu unbequem sind.
Ich trage sie nicht, weil ich auf der Suche nach männlicher Gesellschaft bin, die mich nur auf meinen Hintern, meine Beine oder sonst etwas in diesen Leggins reduziert. Bzw. wenn ich auf der Suche bin, dann kann ich das vermitteln und bin auch des Flirtens fähig. Sollte ich keinerlei Anzeichen für Interesse geben, dann habe ich keins!
Es ist Samstag. Ich bin im Regents Park. Ein wirklich wunderschöner ordentlicher Park, in dem es viele Rosen gibt. Es duftet schön und da die Sonne scheint und Wochenende ist, sind viele Menschen mit glücklichen Gesichtern unterwegs. Touristen, wie auch Einheimische genießen den Nachmittag.
Ich habe mich am Rand eines riesigen Rosenbeets auf eine Holzbank gesetzt und lese jetzt mein neues Buch. Irgendwann kommt ein Mann und fragt, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er sich auch auf die Bank setze. Mich stört das nicht, die Bank ist schließlich sehr lang und niemand sonst beansprucht sie, außer meinem Rucksack. Es ist genug Platz für mindestens noch zwei Personen.
Der Mann setzt ich. Nach einer kurzen Weile fragt er mich, was ich lese. Ich ahne bereits, wohin das führt, will aber nicht unhöflich sein, bzw. ihm eine Chance geben. „Audition“ nenne ich ihm den Titel. Er fragt interessiert weiter. Ob ich Schauspielunterricht nehme, woher mein Akzent käme und wie lange ich schon in London sei. Er erzählt mir in welchen Städten er schon in Deutschland war. Er liebt Südamerika. Ob ich London möge, fragt er. Er finde ja die Deutschen seien unglaublich höflich, wohingegen die Engländer nur arrogant und falsch agierten.
Schließlich kommt sie die Frage, unerwartet und doch so vorhersehbar: „Do you have a boyfriend?“ Habe ich einen Freund. Wenn ein Fremder Mann, der mindestens doppelt so alt ist, wie du, dich das fragt, gibt es nur eine Antwort: „Ja“ sage ich und nicke. „Ich vermisse ihn sehr!“ Er nickt und lacht verlegen. Das seien schlechte Neuigkeiten für ihn. Ich lache freudlos mit. Das gesamte Gespräch schon sind meine Augen auf mein Buch fixiert. Auch jetzt schaue ich ihn nicht an. Ich lese die eine Zeile immer und immer wieder. Welche? Keine Ahnung.
Nachdem ich die Boyfriend-Frage gestellt bekommen habe schlägt mir das Herz bis zum Halz. Ich will, dass der Typ geht, will alleine mein Buch lesen. Ich sage nichts, lasse mich weiter von ihm mit Fragen bedrängen. Ich habe Angst, dass er aggressiv oder körperlich wird, wenn ich ihn aktiv abweise. Natürlich könnte ich dann schreien, ihn treten oder schlagen, es wäre dann aber trotzdem schon passiert. Vorhin hat er einen Freund angerufen und ihm beschrieben wo er ist. Was wenn der auch noch kommt? Ich will nur weg aus dieser Situation.
Er fragt weiter. Ob ich studiere. Ob ich gerne alleine reise. Schließlich kommt er wieder auf meinen vermeintlichen Freund zu sprechen. Ob wir schon lange zusammen wären, ob das was Ernstes sei.
Wie bitte?!
Wenn ich jemandem mitteile, ich hätte einen Freund, ist das, egal ob ich die Wahrheit sage oder nicht, eine Abfuhr. Natürlich sind mein imaginärer Freund und ich schon seit Jahren zusammen. Ich vermisse ihn täglich, sehr. Ich überlege noch einen drauf zu setzen und zu erklären, dass wir überlegen zusammenzuziehen, traue dann aber meinen Schauspielkünsten in dieser Situation nicht genug. Wie wir das denn schafften, möchte er wissen. Natürlich schreiben wir viel, facetimen und telefonieren. Er lässt nicht locker. Ich sei ja doch recht weit weg und doch auch sehr lange, nicht wahr.
Irgendwann scheint er zu realisieren, dass ich kein Interesse an ihm habe, weder sexuell, noch, falls das irgendwann überhaupt zur Frage stand, freundschaftlich. Er geht, aber nicht, ohne mir vorher seine Telefonnummer anzubieten, ob ich die nicht haben möchte. Nein? Es sei trotzdem nett, mich kennengelernt zu haben. Ein „You too.“ Bekommt er nicht von mir zu hören.
Es war keine Freude, dass er sich zu mir gesetzt hat und es war auch nicht nett. Der Mann hat mir schlicht und einfach den Tag versaut, indem er mir meine körperliche Unterlegenheit unter die Nase gerieben hat.
Auf dem Weg nach Hause macht mich jeder Blick von Männern, jede Bewegung in meine Richtung nervös. Egal, ob ich in der U-Bahn, im Tesco oder im Park auf dem Weg nach Hause bin, ob der Mann alt oder jung ist. Ich bin von Einem zum Objekt erklärt worden und jetzt habe ich das Gefühl, für alle eins zu sein. Mein Selbstbewusstsein, in die Tonne geschmissen. Das einzige was mir bleibt, ist meine vermeintliche Attraktivität. Darauf reduziert zu werden fühlt sich scheiße an und macht wütend! Dieses Gefühl bleibt, nicht nur für den gesamten Heimweg, sondern auch über den Sonntag und auch am Montag noch.
Plötzlich gehe ich nicht mehr gerne alleine weg. Ich muss mich wieder daran gewöhnen und Selbstbewusstsein aufbauen und das ist anstrengend und nervtötend. Außerdem macht es unglaublich wütend. Ich bin mehr als das, worauf mich der Typ reduziert hat. Nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen, jedoch leider nicht für alle.
Das ist, was mich an der ganzen Sache am meisten gestört hat und mich immer noch unglaublich wütend macht: Die Tatsache, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass das letzte Mal war, dass mir so etwas passiert ist. Im Gegenteil, ich muss davon ausgehen, dass ich noch öfter von Fremden Männern angesprochen werde, besonders wenn ich alleine unterwegs bin. Dabei muss ich leider auch darauf gefasst sein, dass diese Männer weniger „nett“ sind, als der Mann aus dem Park. Ich muss damit rechnen ausgefragt, bedrängt und angefasst zu werden. Der Grund dafür ist einzig und allein meine Weiblichkeit.
Sexismus so zu erfahren ist übel. Nicht das Ende der Welt, aber übel! Die Abhängigkeit der Frau vom männlichen Geschlecht, bleibt so nämlich erhalten. Ich brauche einen imaginären männlichen Partner, um mir aufdringliche Typen vom Halz zu halten. Ich brauche eine männliche Begleitung, wenn ich, bin ich dann irgendwann Volljährig, in Brixton, einem südlichen Bezirk Londons, feiern gehen möchte. Dort kann es nämlich passieren, dass dir ein Typ auch mal ohne Vorwarnung zwischen die Beine fasst, auch wenn du in Begleitung da bist.
Ein Grund, weshalb ich mich nach der Schule gegen ein Work and Travel Jahr entschieden habe, war dass ich Angst vor sexueller Belästigung hatte. Work and Travel kam für mich nur mit männlicher Begleitung in Frage, was vielen Frauen ähnlich geht. Da haben wir sie wieder: Die Abhängigkeit des weiblichen vom männlichen Geschlecht.
Akzeptieren kann, will und sollte ich diese nicht. Ich verreise gerne alleine. Ich unternehme gerne Sachen alleine. Ich gehe gerne spazieren, alleine. Ich setze mich gerne in ein Café, alleine. Und wenn ich im Park sitze und lese, alleine, dann nicht, weil ich Gesellschaft brauche, sondern das genaue Gegenteil. Entweder weil ich sie nicht brauche oder weil ich sie nicht will.
Es ist eine unerhörte Überschreitung von Grenzen, jemanden zu bedrängen und zu belästigen. In jeglicher Form. Das gilt für Männer und Frauen, für jeden. Aufdringlichkeit ist nicht attraktiv, wenn sie meine Grenzen übertritt und mir zu nahekommt. Viele Menschen, sind da denke ich der gleichen Ansicht wie ich.
Ich bitte euch, wenn ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt wie ich, oder auch andere, Ratschläge habt oder wisst, wie man jemandem richtig vors Schienenbein tritt, wenn es hart auf hart kommt, meldet euch gerne bei mir. Ich lese immer was unter meinen Einträgen kommentiert wir, ihr könnt mich aber auch gerne privat kontaktieren. Das Einzige, was vermutlich in so einer Situation hilft, ist nicht alleine zu sein und von Menschen unterstützt zu werden, denen man vertrauen kann, zu reden und weiterzumachen.
Ich bin gespannt auf eure Rückmeldungen und Gedanken zu dem Thema.
Solche nervigen Aufdringlichkeiten habe ich Ende der 90er auf Kuba als allein Reisender durch die dortigen jungen Frauen erfahren, die sich für Geld darbieten wollten bzw. mussten. Davon habe ich bislang niemandem erzählt. Deine Angst musste ich nicht verspüren aber es war mir ausgesprochen unangenehm. Ich war Mitte 30. Ich fühlte mich auch als Mann in diesem Alter hilflos.
Ich glaube, Du hast instinktiv sehr klug reagiert.
Oder erst mal ruhig, aber bestimmt: "I don't want to talk with you!" ?
Wenigstens wächst die Wut. - Ob ein "Piss off!" schneller verstanden wird? (Im Falle, dass andere Menschen in der Nähe sind.)