Der Lick 2.0
- lea singt mal
- 14. Aug. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Ich sitze in meinem dritten Café an diesem Dienstag. Eigentlich wollte ich ins Kino gehen, das war mir dann aber doch zu teuer — und zu doof alleine.
Café Nero ist eine Kette, die in diesem Fall netterweise bis null Uhr auf hat. Ich sitze an einem hohen Tisch mit meinem Pfefferminztee und tippe auf meinem Computer herum. Ich will eine Geschichte festhalten, die mir für diesen Blog eigentlich viel zu kurz scheint:
Mein zweites Café heute war das Café des Buchladen Foyles, den ich jedesmal besuche, wenn ich in London bin und nie mit leeren Händen verlasse. Dort traf ich vor fast fünf Jahren einen alten Herren, der mir beteuerte, es würde niemanden in dem wirklich unglaublich belebten Café interessieren, wenn ich den Milchschaum mit dem Finger aus meiner Tasse schlecken würde, das nenne man den Lick. Dabei grinste er verschmitzt. Ich traute mich aber nicht, bat ihn damals, kurz auf meine Sachen zu achten und holte mir einen kleinen Löffel.
Heute saß ich nun in dem selben Café und trank einen Cai Latte. Den kleinen Löffel hatte ich natürlich schon wieder vergessen. Ich überlegte kurz. Um mich herum saßen keine Menschen, die ich hätte fragen könne, ob sie auf meine Sachen achten könnten. Ich saß aber viel näher als beim letzten Mal an den Löffeln. Ich hätte meine Sachen sehen können, während ich den Löffel holte. Aber andererseits… Ich blickte mich um. Alle schienen sehr versunken. Niemand sah zu mir zurück. Nur die Café Angestelten hinter mir konnte ich nicht checken. Aber ich hatte mich schon entschieden. Als würde ich etwas verbotenes tun kratzte ich ein wenig Schaum vom oberen Rand der Tasse, schleckte ihn schnell ab und schaute mich um. Nichts hatte sich verändert. Ich langte etwas tiefer in die Tasse. Niemand schaute mich echauffiert an. Und so hob ich schließlich die Tasse an und kratzte mit meinem Zeigefinger den ganzen restlichen süßen Schaum aus der Tasse. Dabei konnte ich nicht aufhören zu grinsen. Ich wünschte, der alter Herr von damals hätte mich so sehen können, er wäre sicher stolz gewesen.
Am liebsten wäre ich dort sitzen geblieben, bis ich mich aufmachen muss, um Franka abzuholen. Aber das Café schloss leider um acht und so sitze ich nun im Café Nero mit Blick auf das belebte nächtliche Soho, habe meine Geschichte fertig geschrieben und lasse meine Augen aus dem Fenster ins Nichts starren. Direkt vor mir —allerdings draußen, also für mich hinter einer Scheibe — sitzen zwei Männer. Der eine trägt ein Hemd mit großen gelb-blau-orangen Blumen drauf, hat graue wellige Haare und einen Bart. Der Andere trägt ein dunkles Hemd mit kleinen roten, weißen und grünen Quadraten drauf, hat die Haare kurz und keinen Bart. Sie sind etwa Mitte vierzig. — Hierbei muss ich hier anmerken , dass für mich alle Menschen, die so aussehen, als ob sie einen “Erwachsenen”-Job haben und noch keine Großeltern sind, für mich Mitte vierzig sind.
Bart redet mit großen Gesten, hat eine angespannte Körperhaltung und eine sorgenvolle Miene. Nicht-Bart sitzt entspannter da. Er hat den Arm um Bart gelegt, hört aufmerksam zu und immer wenn er auf Barts Redeschwall etwas erwidert, schaut er ihm tief in die Augen und geht mit seinem Gesicht ganz nah an sein Gesicht. Er scheint ihn beruhigen zu wollen, und spricht eindringlich und ernst, lässt ihn aber immer ausreden. So geht das eine Weile. Irgendwann entspannt sich Bart ein wenig. Er lächelt leicht und die beiden sitzen mehr in angenehmer Zweisamkeit zusammen, aneinander angelehnt und die Menschen von Soho beobachtend. Dann küssen sie sich. Ich muss aufpassen auf meinem Stuhl nicht euphorisch aufzujuchzen, so süß finde ich die Szene. Es ist ein kurzer Kuss. Sie reden noch eine Weile weiter. Bart noch immer etwas aufgewühlt, Nicht-Bart beruhigend und liebevoll.
Ich notiere mir die Farbigkeit ihrer Hemden. Als ich wieder aufschaue kuscheln sie glücklich, herzlich und entspannt. Dann küsst Bart Nicht-Bart. Innig und lange. Sie holen einen Tisch, auf dem sie einen Becher abstellen. Die Hände nun frei, küsst Nicht-Bart Bart. Innig und lange. Sie lachen sich gemeinsam an, schauen sich die Menschen an, die an ihnen vorbei laufen und kuscheln noch ein wenig.
Dann stehen sie auf, Nicht-Bart setzt den Rucksack auf, Bart nimmt die Wasserflasche und sie verschwinden in die Nacht hinein.
Der Becher steht noch immer auf dem Tisch, als sich zwei andere Männer hinsetzen. Brüder, würde ich der Ähnlichkeit wegen vermuten. Der eine trägt ein schwarzes T-shirt, der andere ein beiges Hemd. Beide haben einen Bart. Sie sind Anfang dreißig schätze ich — also sie haben einen Job in dem sie tendenziell für ihr Gehalt zu viel arbeitenund wollen eigentlich woanders hin. An dem Woanders sind sie allerdings näher dran, als der Anfang zwanzig Jährige Lockenschopf neben ihnen. Der hat ganz viele Idee, ist ein bisschen verlohren in der Welt und macht noch was ganz anderes, als das was er eigentlich machen will. — Auch die Brüder haben ein angeregtes Gespräch. Sie diskutieren, nehmen sich gegenseitig das Handy weg und schauen sich die Menschen an, die vorbei gehen. Irgendwann geht schwarzes T-shirt zurück in den Club, aus dem sie anscheinend gekommen sind und lässt seinen Bruder zurück. Der sitzt noch eine Weile da und geht dann auch. Seinen Platz nimmt ein alter Herr ein — Mitte 50. Warum? So ein Gefühl — der sich so neben den Lockenschopf setzt, der dort mit seinem Buch sitzt. Die beiden beginnen ein angeregtes Gespräch.
Der Becher steht immer noch auf dem Tisch neben ihnen.
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