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Mit dem Rad zur Arbeit, ob es regnet, ob es schneit

Ich hab mir im Oktober angewöhnt mit der S-Bahn zur Arbeit zu fahren. Es ist deutlich entspannter als mit dem Fahrrad. Es ist nicht so kalt, man kann Musik hören, ein Kapitel lesen oder einfach noch mal kurz die Augen zu machen. Es ist wunderbar, um Menschen zu beobachten und kleine Geschichten mitzuerleben.

Als mir dann aber auffiel, dass ich mich durch Homeoffice, S-Bahn fahren und eingeschränkten Sportkursen deutlich weniger bewegte, trat ich meinem inneren Schweinehund mal gehörig in den Hintern und fuhr diese Woche wieder mit dem Fahrrad.


Fahrradfahren im Oktober und November ist so ziemlich das unangenehmste Fortbewegungsmittel, das es gibt. Ich bin davon überzeugt, dass man in diesen Monaten nicht richtig angezogen sein kann. Bei mir sieht das immer so aus:

Am Anfang trage ich ein langärmeliges Shirt, wenn möglich mit Rollkragen, darüber ein kurzärmeliges Shirt, einen Pullover und eine Fließjacke, plus Schal, Mütze und Handschuhen natürlich. Am Anfang ist mir ja auch noch kalt. Ich komme ja grade aus der beheizten Wohnung und bin quasi erst vor gefühlt fünf Minuten unter meiner dicken warmen Decke hervor gekommen.


Nach einer Weilendes Fahrens, ziehe ich die Fließjacke und die Mütze aus. Dann die Handschuhe. Am liebsten würde ich auch den Pullover ausziehen, aber dann hätte ich nur noch zwei Schichten dünne Baumwolle und so sehr wie ich bis dahin geschwitzt habe, würde ich mich sicher erkälten. Also werden nur die Ärmel hochgekrempelt und dann hoffe ich nur noch, dass ich mein Deo nicht vergessen habe.


Das Wetter ist nicht nur die einzige Hürde, es ist auch die Langeweile. Wenn man andauernd die gleiche Strecke fährt und jedes mal die gleichen Häuser sieht, wird das irgendwann ganz schön öde. Musik höre ich auch ungern beim Fahrrad fahren, seit ich mich mal an einem nassen Oktobermorgen mit Kopfhörern in den Ohren so richtig vors Auto gelegt habe, meine Lieblings- und letzte- Jeans zerrissen habe und gleichzeitig Wonderwall von Oasis in meinen Ohren dudelte. Der Unfall hatte zwar nichts mit meiner Musik zu tun, sondern mit den blöden Lindenblüten, dem nassen Oktober und den verflixt verwinkelten Straßen in Berlin. Dennoch fühle ich mich seitdem deutlich sicherer, wenn ich alle meine fünf Sinne zum Fahren benutzen kann, Denn manchmal schaltet einer ja, besonders morgens, auch mal kurz ab. Die Augen zum Beispiel, denn in der Großstadt ist ja morgens so viel los!


Die Situationen, die man so mitbekommt, kann man aber leider gar nicht ausgiebig genug beobachten, denn sobald man Etwas interessantes entdeckt ist man auch schon vorbei gesaust.


Gestern zum Beispiel fuhr ich an einer Frau vorbei, die einen Müllmann im Müllauto ankeifte. Es wirkte so, als würde sie ihm erklären, dass er in der Eisenacher Straße nicht zweite Reihe parken dürfte. Oder beschwerte sie sich, dass er den Fußgängerübergang Blockierte? Ich weiß es nicht, denn ich war zu schnell vorbei, um auch nur ein Wort zu verstehen. Der Müllmann schien ihr allerdings auch nicht wirklich zuzuhören, er starte unbehelligt auf sein Handy. Was ich so skurril an der Situation fand und weshalb ich sie so gerne noch weiter beobachtet hätte, war die pure Berliner Art. Während der Müllmann die Frau mit Nichtachtung strafte, stand sie auf der Fahrerseite, ergo mitten auf der Straße, und blockierte mit ihrem quer stehenden Fahrrad auch noch den Rest der Straße. Als sie also dort so stand und keifte, begannen die Autos hinter mir und ihr zu hupen, weil sie nicht vorbei kamen. Ein wunderbares Schimpfkonzert morgens um 8:30 in Schöneberg. Guten Morgen Berlin.


An der Ampel zwei Straßen weiter kam mir ein unfassbar goldiges Kind mit seiner Mama entgegen. Auch diese Beiden waren mit dem Fahrrad unterwegs, allerdings auf dem Bürgersteig. Die Mama fuhr offensichtlich im ersten oder zweiten Gang und strahlte eine wohltuende Ruhe aus. Das kleine Kind trat dagegen fest in die Pedale seines kleinen Hellblauen Fahrrads mit dem knallpinken Korb. Es hatte den Kopf in den Nacken gelegt, wie nur Kinder es tun, wenn sie die Nasse hochziehen und grinste in den grauen Himmel, während es sich abstrampelte, um schneller zu fahren. Seine Mutter war trotzdem schneller und wartete an der Straße.


Kurz hinter Ihnen kamen die Zwei Studentinnen, denen ich fast jedes Mal an dieser Straßenecke begegne, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Die eine, die mit den Dreadlocks, fährt immer das Lastenfahrrad und die Andere, die sich immer zu Ende fertig macht, sitzt vorne im Holzkorb.


Besonders schön fand ich auch die Grundschule etwas weiter. Da standen vor drei Tagen eine Gruppe von kleinen, etwas verschreckten Erstklässlern an der kurzen Sackgasse und bekamen von einem Polizisten erklärt, wie man schaut, wenn man die Straße überquert. Sie trugen alle Warnwesten und traten immer zu zweit, Hand in Hand und sehr vorsichtig auf die kau befahrene Straße und begannen gewissenhaft zu schauen: Links, rechts, links. Allerdings wohl nicht gewissenhaft genug, denn der Polizist rief laut und durchdringend: „Immer dran denken: Wenn ihr eure sichere Zone verlasst müsst ihr anfangen zu gucken!“ Gestern standen sie wieder an der Straße und der Polizist erklärte etwas. Was es wohl war? Wie man eine Ampel überquert? Oder hat er ihnen die Technik für den Geheimen Knopf bei den Blinden-Ampeln beigebracht, die Postboten und Agenten angeblich benutzen wenn sie es eilig haben?


Ich habe ja das Gefühl alle interessanten Dinge passierten in der Eisenacher Straße. Obwohl doch nicht. Als ich später an der Kurfürstenstraße darauf wartete, dass die Ampel grün würde (Ich kann die Agenten-Ampel-Knopf-Technik nämlich leider nicht…), rutschte ein Mann aus, der sein Fahrrad mit Kind im Gepäckträger-Sitz schob. Er konnte sich zum Glück fangen und keiner verletzte sich. Was daran interessant ist? Tja, der Mann rutschte tatsächlich und wahrhaftig auf einer Bananenschale aus. Ich dachte wirklich, das währe nur in Zeichentrickfilmen möglich und war gleichzeitig schockiert und fasziniert.


Na gut vielleicht muss ich zugeben, dass man beim Fahrradfahren doch ganz schön was erleben und sehen kann. Insbesondere das Müllauto mit den roten und blauen Lichterketten, sowie der kleinen elektronischen Kerzenpyramide im Fahrerhäuschen hat mich sofort in Weihnachtsstimmung gebracht.


Das allerschönste ist jedoch jedes Mal, ob auf dem Hinweg oder Rückweg, der Landwehrkanal, der jeden Morgen und jeden Abend anders aussieht und ein wenig Natürlichkeit in die großen grauen und beigen Häuser von Berlin Das fasziniert mich jedes Mal aufs neue.


 
 
 

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