Mein Vorsprechen an der Ernst Busch
- lea singt mal
- 7. Dez. 2019
- 6 Min. Lesezeit
Am 20.11., einem sonnigen Mittwoch, steige ich vormittags in ein Flugzeug nach Berlin. Die Ironie an der Sache ist: In London verabschieden mich strahlender Sonnenschein und blauer Himmel, während mich in Berlin graue Wolken und piesel Regen empfangen.
In Berlin angekommen ist erst mal der Kulturschock unerwartet. Alles sieht genauso aus wie immer. Nicht mal der Rechtsverkehr irritiert mich. Aber eine Sache ist tatsächlich komisch. So viele Menschen sprechen deutsch. Das fing schon im Flugzeug an, wo ich mich bei einer deutschen Frau auf Englisch entschuldigte. Am Anfang irritiert es mich tatsächlich, wie gut ich alle verstehe, in der U-Bahn, im Bus oder im Café. Am Anfang ist es noch ein: „Oh, höhö, ich verstehe was die sagen! Und das wissen die nicht.“ Später wird es ein: „Warte, die verstehen mich ja jetzt auch, wenn ich am Telefon rede…“ Bis es schließlich in ein gelegentliches Aufhorchen abklingt.
Meine Nervosität setzt ein, sobald ich aus den Türen vom Flughafen Tegel trete. Durch die ganze Organisation des Fluges – wann muss ich losfahren, damit ich pünktlich beim Flughafen bin, welchen Zug muss ich nehmen, an welchem Terminal fliege ich ab, reicht mein Oyster-Card-Guthaben für zwei Fahrten mit der Bahn, und so weiter – habe ich die Aufregung bis dahin ganz gut wegschieben können. Lampenfieber, genauso wie stress, geht bei mir immer durch den Magen, weshalb ich vor großen Ereignissen meistens sehr unterzuckert bin, weil ich einfach nichts runter kriege. Den Ganzen Abend spannt meine Bauchdecke sich an, als hätte sie Sixpack-Ambitionen, während mein Magen mit meinen Gedanken Karussell fährt. Was wenn ich zu spät komme? Es werden so viele neue Leute sein!
Seltsamerweise habe ich nicht dieses Fluchtgefühl wie sonst. Das „Ich-will-nur-hier-weg!“ flammt nur dann auf, wenn ich mich in meine Nervosität reinsteigere und auch dann lässt es sich leicht wieder umstimmen. Ich habe zwei Monate an meinen Monologen gearbeitet und gefeilt. Bin im Bus die Texte wieder und wieder durchgegangen, bin abends noch einmal nach einem gemütlichen Filmeabend aufgestanden, um sie einmal durchzugehen. Ich habe nach nur vier Stunden Schlaf nach einer Party einen gesamten Sonntag an den Monologen gefeilt und sie wieder und wieder gespielt. Meine gesamte Freizeit habe ich ihnen gewidmet, wenn nicht mit üben, dann mit Gedanken. Jetzt will ich sie auch präsentieren!
Dennoch bin ich natürlich unfassbar dankbar, dass Ella anbietet, mich zur Hochschule zu bringen und auch noch vorher mit mir ins Einsteincafé um die Ecke geht. Kaffee gibt es vorher allerdings nicht für mich, sondern einen Frischen Ingwertee. Koffein brächte meine Adrenalin-Zufuhr in diesem Zustand zum Explodieren.
Und dann gehen wir rein. Ich melde mich an der Rezeption, wo die Sekretärin meinen Namen auf einer über drei Seiten gehenden Liste pink anstreicht. Ich weiß nicht warum, aber ich war nicht davon ausgegangen, dass wir so viele wären. Ich dachte eine Gruppe von 15 Leuten und nicht zehn oder mehr solcher Gruppen. Von der Sekretärin bekomme ich außerdem einen Zettel, auf dem steht:
„Abteilung Schauspiel
Vorauswahl 2019/2020
Guten Morgen,
willkommen an der HfS.
Deine Vorauswahl findet im Raum 224 statt.
Es beginnt frühestens gegen 9:45 Uhr, also keine Panik!
Es steht dir frei, die Zeit bis dahin, auf der Probebühne, in der Cafeteria oder an der frischen Berliner Luft zu verbringen.
Es besteht dann immer noch Zeit sich umzuziehen.
Dies und alles weitere wie Ablauf und Pausen, wird dir von den Dozierenden mitgeteilt.
Bitte alle Klamotten, Wertsachen, etc. mit auf die Probebühne nehmen, in der deine Vorauswahl stattfindet.
Für den Verlust von Wertsachen, Kleidung, etc. kann keine Haftung übernommen werden.
Mülleimer sind in der Regel rund und bieten Abfall ein neues zu Hause.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit
Toi Toi Toi“
Das klingt doch erst mal ganz freundlich. Nachdem wir noch ein paar Minuten draußen verbracht haben, verabschiede ich mich von Ella und atme tief durch. Im Foyer sitzen noch ein paar andere junge Menschen mit Zetteln wie meinem. Ich frage sie, ob sie auch zum Vorsprechen gehen. Sie nicken freundlich und machen Platz, damit ich mich dazu setzen kann. Wieder werde ich überrascht, wie freundlich alle sind! Für viele ist es sogar auch das erste Vorsprechen. Einige sind schon das zweite Jahr in Folge da. Das Mädchen, das neben mir sitzt meint: „Es ist mein drittes Vorsprechen, aber mein Erstes war letzte Woche, ich weiß also genau, wie ihr euch fühlt!“ Sie war schon in Rostock und München, hat es aber bei beiden nicht geschafft. Sie heißt Francesca und ist auch in Raum 224.
I meiner Gruppe sind elf Leute, zwei Jungs, ansonsten Mädchen. Unsere beiden Prüfer oder Dozenten sind sehr freundlich, überhaupt nicht angsteinflößend, wie ich dachte oder wie der Klatsch es ihnen nachsagt. Auch die Leute in meiner Gruppe sind alle sehr unterstützend. Wir alle glauben aneinander, helfen als Statisten oder indem wir einen Stuhl tragen. Es ist überhaupt nicht der Konkurrenzkampf und Zickenkrieg, den ich erwartet habe.
Erst sollen wir alle einen Monolog vorspielen und dann den zweiten. In der gleichen Reinfolge, weshalb ich zwei Mal als Vorletzte spiele. Wir sind alle unfassbar talentiert, ohne Ausnahme. Schließlich gehen wir auf den Gang und warten. Warten darauf, einzeln und wieder in der gleichen reinfolge in den Raum zurück zu gehen um unser Urteil zu erhalten. Ich wurde das sehr häufig danach gefragt, deshalb stelle ich das noch einmal klar: Ja, man erfährt unmittelbar danach, ob man weiter ist, oder nicht.
Als wir auf dem Gang sitzen ist die größte Angst, aber auch die größte Hoffnung, aller, jetzt noch singen zu müssen. Wer sein Lied singt, hat potential weiter zu kommen. Aber ich zum Beispiel habe mein Lied kaum geübt und wenn ich erzählen muss, dass ich wegen meines Gesangs rausgeflogen bin, schauen mich die Leute doch an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Doch keiner von uns muss singen, keiner von uns schafft es, nicht einmal die Jungs. Das mag jetzt sexistisch klingen, aber Männer haben im Schauspielen einen Vorteil, da es nicht so viele interessierte Männer gibt und dadurch die Konkurrenz geringer ist, als bei den Frauen. Unabhängig davon waren die beiden wirklich unfassbar gut.
Die Busch ist eine der Hochschulen, an der man nach seinem Vorsprechen Feedback bekommt. Mir wird folgendes gesagt: „Also erst einmal: Sie haben es leider nicht geschafft. War das Ihr erstes Vorsprechen? Ja, gut, dann für Sie: Bei Ihnen fehlt der Kontext. Sie bleiben zu sehr am Text und schaffen zu wenig Raum drum herum.“
Das wird dann auch noch konkretisiert und weiter beschreiben, aber ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr. Um ehrlich zu sein kommt das auch gar nicht mehr richtig an. Ich nicke und lächle und will eigentlich nur nach Hause. Das klingt jetzt wie so eine Szene im Film, wo jemand eine schlechte Nachricht bekommt und dann sieht man noch, dass der Bote noch weiterredet, aber die traurige Musik setzt schon ein und die Kamera nimmt eine Karussellfahrt um die traurige Hauptperson auf. So ist es aber nicht. Es ist seltsam erleichternd. Nicht durchzukommen bedeutet für mich, mich vollkommen auf mein Jahr in London konzentrieren zu können, es bedeutet auch, wieder Filme schauen zu können, ohne dabei seltsame und auch angst machende Hintergedanken zu haben. Außerdem bedeutet es einen riesigen Berg Stress, der von meinen Schultern fällt.
Ich bedanke mich lächelnd und gehe zur Tür. Die eine Dozentin wirft mir noch hinterher: „Aber sie könne sich ja wieder bewerben.“ Ich grinse, und während ich die Tür öffne nicke ich und sage ein wages „Jaja“ in ihre Richtung. Ich freue mich, dass sie das sagt, es bedeutet, sie sieht in mir Potential, aber in diesem Moment zählt für mich nur eins: Ich will raus aus der Hochschule, ich will endlich einen Kaffee und ich bin so verdammt stolz auf mich.
An dem Nachmittag treffe ich noch ein paar Studierende von der Busch. Keiner von ihnen ist verwundert, dass ich es nicht geschafft habe. Natürlich hätten sie es mir gegönnt, aber die meisten haben zehn oder sogar mehr Vorsprechen gebraucht, bevor sie überhaupt in die zweite Runde kamen.
Enttäuschung verspüre ich seltsamerweise nicht. Ich bin sehr stolz, dass ich mich das getraut habe und so dankbar für diese Erfahrung! Im Allgemeinen hatte ich aber nie das Gefühl mich wirklich fürs Schauspiel entschieden zu haben. Mehr ist alles irgendwie einfach passiert. Mir haben einige gesagt, die in dem Business verkehren, ich hätte Talent und das Studium klang interessant und ich hatte immer den Traum gehabt etwas künstlerisches zu studieren. Da habe ich mich dann, einer Eingebung folgend, angemeldet und dann habe ich mich vorbereitet und dann bin ich nach Berlin geflogen und dann habe ich Vorgesprochen. All das, ohne mir sicher zu sein, ob das wirklich ist, was ich will.
Ich stehe gerne auf der Bühne, schlüpfe gerne in andere Rollen, finde eine Verbindung mit dem Publikum. Dennoch weiß ich nicht, ob der Stress und die Anspannung, die ich in den letzten Monaten erfahren habe, mir das Wert sind, es zu meinem Beruf zu machen.
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Mein Vorsprechen ist jetzt knappe zwei Wochen her. Entschieden habe ich noch nichts, das habe ich aufs neue Jahr verschoben. Momentan genieße ich es, stundenlang zu Hause zu sitzen, eine Kerze anzuzünden, schnulzige Weihnachtsfilme zu schauen und fröbel-Sterne zu basteln. Ich bin nach meinem Wochenende in Berlin ziemlich sofort krank geworden und die Erkältung hält sich bis heute. Ich durfte in den Beruf reinschnuppern und habe erkannt, wie hart er ist. Was das jetzt für mich bedeutet? Wir werden sehen. Jetzt genieße ich erst einmal die kitschige Londoner Weihnachtsdeko, zu viel Schokolade und Kaffee, während es nach Tannenzweigen und ausgepusteten Kerzen duftet. Der Dezember hier ist kalt, aber sonnig. Hoffentlich habt ihr eine gemütliche Adventszeit, bevor das neue Jahr beginnt. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt…
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