Hin und her, hin und her, das Bahnfahren ist gar nicht schwer!
- lea singt mal
- 29. Aug. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Ich sollte den Blog in "Lea singt mal über die Bahn" umbenennen. Sie bietet mir einfach zu viele Geschichten und eine davon übertrifft die andere.
Vor knapp fünf Monaten verließen Alexandra und Lisa London. Emma sah ich das letzte Mal am 3. August. Da alle drei praktischerweise aus derselben Ecke im hohen Norden kommen, beschloss ich relativ spontan am 26. August nach Hamburg zu fahren und so eine kleine London-Reunion zu starten. Ich hätte mir keinen besseren Tag aussuchen können! Nach wochenlangem Sonnenschein sind für eben diesen Mittwoch starke Unwetter im nördlichen Deutschland angekündigt. Da ich immer ausreichend und rechzeitig informiert bin, lese ich die Unwetterwarnung natürlich erst im ICE, als wir auf direktem Weg von Spandau nach Hamburg sind, ohne Zwischenstopp, so der Plan. Dennoch halten wir plötzlich in Boizenburg an der Elbe. Nach einigen Minuten erklärt uns auch eine Ansage den Grund dafür: "Aufgrund eines Unwetters ist ein Baum auf die Oberleitung vor uns gefallen. Wir wissen noch nicht wann und wie es jetzt weitergeht. Sobald wir nähre Informationen haben, werden wir sie informieren."
Der Mann, der auf der anderen Seite meiner Reihe sitzt, fängt sofort laut an, zu meckern: "Natürlich! So ist das ja immer mit der Bahn!" Der Mann eine Reihe weiter steigt auch gleich mit ein: "Ja man, jedes Mal! Das letzte Mal hatte ich auch eine Stunde Verspätung oder so. Ich weiß gar nicht, wie oft ich dieses Fahrgastrechteformular schon ausgefüllt habe!" Der Man ist letztenendes so frustriert, dass er entnervt den Zug verlässt, aber dazu später.
Der Andere, der in meiner Reihe, frotzelt weiter: "Man ey! Ich war letztens erst in der Schweiz, da ging alles: Keine Verspätung, keine Störung!"
Wir anderen im Zug sitzen einfach da und warten auf weitere Informationen. Ich informiere meine Freunde mit einer kurzen Nachricht, dass es später wird und krame mein Harry Potter Buch aus meinem Rucksack.
Ein Jüngling, ein paar Reihen weiter, informiert auch alle seine Freunde, insgesamt fünf, allerdings telefonisch. Ich sollte an dieser Stelle vermutlich erwähnen, dass ich in einem Großraumwaggong im Ruhebereich sitze. Er ignoriert geflissendlich das Das Telefon ist durchgestrichen, wir telefonieren also nicht-Schild und auch das Eine Person hält den Finger vor den Mund, also Pscht-Schild und ruft alle seine Freunde an: "Du ich stehe hier grade mitten in der Pampa. Ich weiß nicht wann's weiter geht. Ich glaube ich komme heute nicht mehr nach Hamburg." Ein weiterer Anruf ging folgendermaßen: "Ja hallo du! Ich hab Jessica grade schon angerufen. Du, ich weiß gar nicht, ob ich heute noch nach Hamburg komme." (Es ist kurz vor Zehn Uhr, Vormittags) "Ich steh hier irgendwo in der Pampa und nichts bewegt sich. Ja, da ist nen Baum auf die Oberleitung gefallen." "Blondie", wie ich ihn kurzerhand getauft habe, wird von einer weiteren Ansage unterbrochen: "Ja, liebe Fahrgäste, leider ist die Strecke nach Hamburg bis auf's weitere gesperrt und eine Weiterfahrt in diese Richtung ist nicht möglich. Wir fahren jetzt nach Wittenberge zurück und dort können Sie dann in einen anderen ICE umsteigen, der sie über eine andere Strecke nach Hamburg bringen wird. Wie viel Verpätung wir haben werden, kann ich ihnen noch nicht sagen, aber sobald ich genauere Informationen habe, gebe ich ihnen sofort Bescheid." (Die englische Übersetzung des armen Zugbegleiters erspare ich euch jetzt mal.)
Großer Unmut unter den Fahrgästen kommt auf. Besagter Man von vorhin stürmt wütend aus dem Zug. "Nach Wittenberge? Das sind knappe 100km von hier und dann auch noch von da nach Hamburg! Da bin ich ja schneller, wenn ich von hieraus jogge!"
Der andere Frotzler von vorhin beginnt wieder die Qualität der deutschen und der schweizerischen Bahn zu vergleichen und erklärt seinem deutlich jüngeren Mitreisenden, er würde wieder aufs Auto umsteigen und auf der Rückfahrt würden sie doch bitte fliegen. Sein Mitreisender nimmt das Ganze jedoch sehr gelassen und winkt den Kommentar nur lächelnd ab. Er scheint seinen Gefährten gut zu kennen und wirkt sich sehr sicher, dass sie auch mit der Bahn wieder zurück fahren werden. Sagen tut er allerdings nichts.
Nachdem wir weitere 15 Minuten in Boizenburg stehen, setzt sich der Zug wieder in Bewegung und kurze Zeit später fahren wir wieder an den Solarplatten vorbei, die mir vorher schon aufgefallen waren. Während wir durch Wälder rasen, Felder an uns vorbei ziehen und Harry Potter zu seinem vierten Jahr in Hogwarts eintrifft, informiert Blondie alle seine Freunde über die neuen Informationen, die wir grade erhalten haben. Doch 15 Minuten später werden diese schon wieder ungültig, denn folgende Ansage dröhnt aus den Lautsprechern: "Also, meine Damen und Herren, die Strecke nach Hamburg ist jetzt doch wieder freigegeben. Wir halten jetzt also im nächsten Ort, drehen wieder um und fahren doch die geplante Strecke." Es passiert etwas, das mir noch nie in der Bahn passiert ist: Der gesamte Großraumwaggon bricht in schallendes Gelächter aus. Einige klatschen, andere verdrehen belustigt die Augen. Blondie gibt die Informationen durch und mein Frotzeliger Nachbar profezeit einen weiteren Baum, der auf die Gleise fallen werde (was nicht passiert).
Ich schaue lächelnd aus dem Fenster. Wir halten in einem kleinen Ort, dessen eine Straße direkt an der Leitplanke zu den Schienen entlangläuft. An der Leitplanke steht ein kleines Kind mit brauner Regenjacke. Die Kapuze ist ihm in die Augen gerutscht, weshalb es den Kopf in den Nacken legen muss, um den ICE anschauen zu können. Glücklich hüpft es im Regen auf und ab, bis wir wieder in die andere Richtung davon fahren, ein drittes Mal an den Solarplatten vorbei. Die Fahrgastrechte werden verteilt und wir kommen tatsächlich nur mit einer Stunde Verspätung in Hamburg an.
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