Früher war mehr Lametta
- lea singt mal
- 12. Jan. 2021
- 2 Min. Lesezeit
Natürlich gingen Maya und ich spazieren. Denn so macht man das, wenn man sich am 27. Dezember um 22:00 Uhr treffen möchte, man geht spazieren. Es war kalt, doch das machte uns nichts, denn wir hatten uns in den letzten Wochen schon so oft die Finger abgefroren, die vergessenen Taschentücher verflucht und immer mehr Pullover übereinander gezogen, je kälter es wurde.
Wir schlenderten durch die verlassenen Straßen von Steglitz und Friedenau. An dem verlassenen Haus an der Stubenrauchstraße blieben wir stehen. „Das ist aber schön, es hat irgendwie etwas Pariserisches.“ Sagte ich und fuhr fort: „Hier möchte ich mal wohnen!“ Maya verzog das Gesicht. „Hier? Wollen wir nicht lieber nach Kreuzberg oder so? Irgendwo wo mehr los ist.“ Ich grinste. „Maya,“ sagte ich „wenn wir uns eine Wohnung in diesem Haus leisten können, dann werden wir in einem Alter sein, wo wir glaube ich gerne wieder in einem ruhigeren Bezirk wohnen möchten.“ Damit gab sie sich zufrieden und wir schlenderten weiter, überquerten die Bundesallee und folgten der Handjerystraße in Richtung der Schmiljanstraße. Plötzlich blieb ich stehen und deutete auf einen Weihnachtsbaum, der am Straßenrand lag. Schon am 27. Dezember. Da konnte Weihnachten wohl nicht früh genug zu Ende gehen. Die ehemaligen Besitzer des Weihnachtsbaums hatten es offenbar so eilig gehabt, das Ding aus dem Fenster zu schmeißen, dass sie nicht mal das Lametta abgenommen haben.
Das sieht man ja öfter nach Weihnachten. Tannenbäume die auf der Straße liegen und hier und da hängt noch ein einzelner Silber- oder Goldfaden. Als Kind fand ich das faszinierend. Ich dachte, da sein ein Engel hängen geblieben und habe beim Versuch sich loszumachen zwei, drei Haare verloren.
Heute finde ich Lametta nicht mehr so schön. Mir ist leider im Laufe meines Erwachsenwerdens bewusst geworden, dass da kein Engel hängen geblieben ist, sondern Menschen Plastikschnüre in Ihre Bäume schmeißen. Ich muss sagen, je mehr Lametta an einem Weihnachtsbaum vor sich hin glitzert, desto weniger gefällt er mir.
Und dieser Weihnachtsbaum, der da am Straßenrand der Handjerystraße lag, gefiel mir überhaupt nicht! Von oben bis unten voller silbern glitzernder Plastikfusseln. Ich zeigte drauf und sagte zu Maya: „Weißt du, immer wenn ich vergessenes Lametta an rausgeschmissenen Weihnachtsbäumen sehe, nehme ich es ab und schmeiße es in den Müll. Aber die hier haben es nicht vergessen, sie waren einfach zu faul. Dann sollen sie es doch bitte auch nicht drauf tun, wenn wie es nicht entsorgen!“ Maya, die etwas weiter stehen geblieben war, nickte und schaute mich abwartend an. Doch ich dachte noch nicht ans Weitergehen. „Weißt du was?“ Sagte ich und ging auf den Baum zu. Langsam begann ich die Büschel silberner Fäden von den Zweigen zu klauben. Maya gesellte sich dazu und gemeinsam befreiten wir den Baum von seinen gesamten Fransen und Fusseln. Das ganze fühlte sich seltsam kriminell an und wir lachten bei der Vorstellung, dass die Besitzer des Baumes am nächsten Tag aus dem Haus kommen und sich wundern würden, wer bloß das ganze Lametta geklaut hatte.
Am Ende hielten wir beide jeweils ein großes knisterndes Knäul Lametta in den Händen, das wir schnell zum nächsten orangenen Mülleimer trugen. Dann beschlossen wir noch, dass wir in unserer späteren WG einen kleinen Tannenbaum im Topf haben würden, den man nicht aus dem Fenster schmeißen müsse und gingen friedlich weiter unseres Weges.

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